Köpfe der Spielebranche: Interview mit Jan „Poki“ Müller-Michaelis

20.06.2014
Jan Müller-Michaelis alias Poki: Creative Director und Geschichtenerzähler

Jan Müller-Michaelis alias Poki: Creative Director und Geschichtenerzähler

Karriere in der Gamesbranche – Ein Traum, den sich viele von uns noch erfüllen wollen. Warum fragen wir also nicht einfach die Besten Deutschlands, wie man es anstellt? In der zweiten Auflage unserer Interview-Reihe „Köpfe der Spielebranche“ ist es wieder einmal Zeit, hinter die Kulissen der Industrie zu blicken, und den bekanntesten Kreativen Deutschlands ihre heißesten Karrieretipps zu entlocken. Unser Interviewpartner ist dieses Mal Jan Müller-Michaelis vom Hamburger Entwickler und Publisher Daedalic Entertainment. Jan kennt ihr vermutlich unter seinem Spitznamen „Poki“ und wisst, dass er einer der herausragenden Geschichtenerzähler unserer Branche ist.

Poki ist Mitbegründer und Creative Lead von Deadalic Entertainment und hat unter anderem die beliebte „Deponia“-Trilogie aus der Taufe gehoben. Seine Fähigkeiten als Autor haben außerdem weitere Titel wie „Edna bricht aus“ oder „Harvey’s neue Augen“ auf die Festplatten der begeisterten Point-and-Click Fangemeinschaft gebracht. Warum Poki glaubt, dass die Gamesbranche manchmal zu flexibel sein will, und warum Erfolg im Job mit einem ruhigen Gewissen vereinbar ist, verrät er jetzt.

GC: Karriere in der Games-Branche: Eher Zufall, oder war es schon immer dein Ziel?

Jan Müller-Michaelis: Ich wollte immer Geschichten erzählen, über das passende Medium war ich mir zunächst sehr unsicher. Darum habe ich in Hamburg an der HAW Medientechnik studiert und parallel dazu viel ausprobiert. Musik, Kurzfilme, Comics – Hauptsache ich konnte meine Ideen loswerden. Das hat mein Studium sehr in die Länge gezogen. Schließlich wurde es Zeit, es zu Ende zu bringen. Das erforderte eine Entscheidung, in welchem Bereich ich mein Diplom machen wollte und ich entschied mich für den – laut Studienplan – kürzesten Weg: „Computergenerierte Medien“.
Um mich zu motivieren, wählte ich ein Thema, das mir Spaß machte: Geschichten erzählen. Der Titel der Arbeit war „Das Computerspiel als nicht-lineare Erzählform“ und sie enthielt sowohl das Konzept als auch die Umsetzung einer interaktiven Geschichte. Diese Geschichte war „Edna bricht aus“ – mein erstes Point-and-Click Adventure und meine Eintrittskarte in die Branche.

GC: Du zählst zu den bekannten Köpfen der deutschen Games-Branche. Was hast du, was andere nicht haben?

JMM: Kreative Freiheit. Talentierte Leute gibt es viele in der Branche, aber die Freiheit die eigenen Ideen kompromisslos umzusetzen fehlt den meisten Entwicklern. Bei „Edna“ hatte ich sie, weil ich noch nicht den Branchenregeln unterworfen war. Aber ohne Daedalic-Mitbegründer und Geschäftsführer Carsten Fichtelmann, wäre ich damit nie im Leben durch die verhärmten Schutzschilde des Spielemarktes gedrungen. Ich hätte es wahrscheinlich nicht einmal versucht.

Der klassische deutsche Spiele-Publisher steht aber nicht nur in der Verwertungskette zwischen dem Entwickler und dem Spieler, sondern in gewisser Weise auch physisch. In der Außenkommunikation werden die Entwickler gerne vergessen oder gar versteckt. Da Daedalic von Anfang an bemüht war, so viele Aufgaben des Publishings selbst zu übernehmen, sind wir heute in einer Position, in der nur noch selten etwas zwischen uns und unseren Kunden steht. Zumindest die Kommunikation mit unseren Fans übernehmen wir immer selber.

Froh über seine kreative Freiheit: Poki

Froh über seine kreative Freiheit: Poki

GC: Was gibst du denjenigen mit auf den Weg, die in der Games-Branche durchstarten wollen?

JMM: Das wichtigste Rüstzeug für dauerhaften Erfolg in der Gamesbranche ist und bleibt die Liebe zu Spielen. Erhaltet euch diese Liebe. Denn wenn ihr euer Spiel nicht liebt, wird es auch sonst niemand tun.

GC: Was ist das Schönste an deinem Job? Was stresst?

JMM: Es ist schon ein enormer Luxus, sein Geld mit etwas zu verdienen was man liebt. Nun habe ich aber auch noch die tollsten Kollegen, die ich mir vorstellen kann und eine fantastische, treue Fanbase, die uns ständig positives Feedback gibt. Da stressen einen irgendwann auch durchgemachte Nächte oder Wochenenden nicht mehr.

Das stressigste ist eigentlich der hohe Erwartungsdruck, den ich an mich selbst und an meine Spiele stelle, um all dem Glück irgendwo auch gerecht zu werden.

GC: Sind Spiele nach wie vor ein privates Hobby von dir? Oder hast du nach der Arbeit genug von ihnen?

JMM: Ich spiele nach wie vor sehr viel und gern, aber nur noch selten am PC, sondern lieber vom Sofa aus auf der Konsole. Meist sind das Coop-Spiele, die ich mit meiner Freundin oder meinem besten Freund oder noch besser zu dritt spielen kann.

GC: Was machst du, wenn du morgen aufwachst und es keine Videospielbranche mehr gibt?

JMM: Ich würde gerne „endlich mal ausschlafen“ sagen. Aber wahrscheinlich würde ich es gar nicht mitbekommen und einfach weiter machen wie bisher. Ob mit Branche oder ohne – Die Leute brauchen ja trotzdem was zu spielen!

Deponia, die Kulttrilogie aus Pokis Feder

Deponia, die Kulttrilogie aus Pokis Feder

GC: Welche Reaktionen bekommst du, wenn du bei Familienfeiern erzählst, dein Geld mit Videospielen zu verdienen?

JMM: Sie sagen: „Erzähl was Neues!“ Ich arbeite seit über 7 Jahren in der Branche und selten treffe ich auf Familienfeiern jemanden, der meine Karriere nicht von Anfang an verfolgt hat. Anfangs wurde ich noch gutmütig belächelt „Ach, ja… unser Jan, der Traumtänzer“. Heute sind diese Verwandten entweder kleinlaut oder haben es von Anfang an gewusst und ich bin derjenige, der gutmütig lächelt.

GC: Wie sieht dein typischer Arbeitstag aus?

JMM: Den gibt es zum Glück nicht. Jedes Spiel ist neu und anders und bringt neue und andere Probleme mit sich. Als Autor und Gamedesigner muss ich mich ständig selbst überraschen. Die Aufgabe hier ist, sich etwas auszudenken, auf das man selber nicht sofort kommen würde. Das erfordert geistige Flexibilität. Man weiß nie wann und woher die nächsten guten Ideen kommen. Als Creative Director erfülle ich wiederum eine so große Spannbreite an Aufgaben, dass der Job auch hier nie zur Routine wird – ich spreche mit Grafikern, Programmierern, Musikern und dem Marketing, leite Sprachaufnahmen, diskutiere Ideen mit den kreativen Leads von anderen Projekten und präsentiere unsere Ergebnisse vor der Presse, unserer Community oder vor Partnern aus der Branche. Nicht selten lege ich auch selbst mit Hand an – scripte, inszeniere und manchmal darf ich sogar  zeichnen oder gar singen. Durch diese Vielfalt an Aufgaben wird mein Arbeitstag oft lang, selten aber langweilig.

GC: Was ist das größte Problem, dass die Branche derzeit zu lösen hat?

JMM: Das erste große Problem was mir da einfällt ist, dass die Branche gerne das Hinterherrennen hinter Trendströmungen mit Flexibilität verwechselt. Man kann sich die Branche da fast wie eine Stadt in einem Erdbebengebiet vorstellen. Und alle fünf Jahre gibts ein Riesenbeben. Die Leute die in den Hochhäusern wohnen bekommen kaum mit, wenn um sie herum die kleineren Häuser einstürzen. Und wenn neben ihnen ein Hochhaus einstürzt, dann jubeln sie „Juchu! Jetzt sind wir die Größten!“ Stürzt ein ganzer Stadtteil ein, wird ebenfalls gejubelt: „Schaut mal: Neuer Baugrund! Wer zuerst da ist!“.

Ein zweites großes Problem ist nach wie vor die Außenwahrnehmung. Trotz der offiziellen Etikettierung als „Kulturgut“ gibt es leider noch immer dämliche Vorurteile, die sich nicht damit ausräumen lassen, dass man aus der Branche heraus versucht, im gemeinsamen Schulterschluss Computerspiele als Ganzes heilig zu sprechen. Man sollte langsam mal damit anfangen, das Bewusstsein zu streuen, dass Computerspiele ein enorm heterogenes Medium sind. „Ich finde Computerspiele blöd, weil mir da zu viel geballert wird“ ist genauso hirnrissig wie „Ich finde Printmedien blöd, weil ich die Aufkleber nie gerade eingeklebt bekomme“.

GC: Gibt es eine Altersobergrenze, um in der Spielebranche zu arbeiten?

JMM: Wenn es sie gibt, dann wird meine Gamedesigner-Generation sie hoffentlich auf ihrem Weg ins Altersheim aufsammeln und sie kurz vorm Friedhof wie ein Staffelholz an die nächste Generation übergeben. Es wäre nicht die erste Messlatte, die wir zusammen verschieben. Anders ausgedrückt: Solange man Spiele liebt ist man auch nicht zu alt, um Spiele zu machen. Das einzige Problem daran ist, dass die Konkurrenz jünger wird…

GC: Was ist der größte Irrglauben bezogen auf die Arbeit?

JMM: Dass man sein Gewissen ausschalten muss, um erfolgreich zu sein.

GC: Poki, vielen Dank für das Interview. Wir wünschen dir, dass sich deine Arbeit auch in Zukunft nicht wie Arbeit anfühlt.

 

Den ersten Teil von „Köpfe der Spielebranche“, unser Interview mit Jochen Dominicus, findet ihr hier.

 

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