Retrobrain – ein Spiel gegen das Vergessen: Die Herausforderungen im Spieldesign für Senioren

26.03.2015
testsituation_mit_exist-betreuer_prof._michael_wahl_humoldt-universität

Testsituation mit EXIST-Betreuer Prof. Michael Wahl, Humboldt-Universität

Heute setzen wir unser Gespräch mit Manouchehr Shamsrizi fort – er ist einer der Gründer von RetroBrain, einem therapeutisch wirksamen Videospiel für Menschen mit Demenz. Für das Projekt haben sich Studierende und Absolventen verschiedener Universitäten aus ganz Deutschland zu einem interdisziplänären Team zusammengetan. In Partnerschaft mit Microsoft nutzt das Team ein Gerät, dessen Technologie eine Steuerung ohne klassischen Controller ermöglicht: die Kinect for Windows v2. Diese gestenbasierte Bedienung vereinfacht besonders älteren Menschen den Umgang mit der Technik, ist also für ein Projekt wie RetroBrain prädestiniert. Nach einem Pilottest in einer Hamburger Pflegeeinrichtung für ältere Menschen, ermöglicht durch eine Förderung der Schering Stiftung, haben sich wesentliche Annahmen über das Spielverhalten der Zielgruppe bestätigt und präzisiert, sich aber auch neue Anforderungen ergeben. Diese sollen nun durch ein Spieldesign, das speziell auf eine ältere Zielgruppe zugeschnitten ist, überwunden werden. Sowohl bei der Zielgruppe, als auch dem Pflegepersonal und der Leitung des Pflegeheims stieß der Testlauf auf großes Interesse und wurde positiv aufgenommen. Therapeutisches Videospielen könnte also zu einer wertvollen Ergänzung in der Altenpflege werden. Warum erklärt uns Manouchehr von RetroBrain im Gespräch.

Habt Ihr den ersten Teil verpasst, so lest ihn hier.
.

GC: Welche speziellen Herausforderungen gilt es in der Entwicklung zu meistern?

Manou: Wir setzen Gamedesigner, Entwickler und Ärzte an einen Tisch und entwickeln gemeinsam ein therapeutisch sinnvolles Videospiel für eine wirklich schwierige Zielgruppe. Das hat vor uns in dieser Form noch niemand versucht. Eine Sollbruchstelle ist dabei die Frage, ob es uns gelingt die Usability hinreichend an die Zielgruppe anzupassen. Auch hier sind wir eher Pioniere, als dass wir uns auf einem gut erforschten Terrain bewegen würden. Unser Anspruch ist dabei ein Videospiel zu entwickeln, das sich mit dem Spielspaß und technischenLevel moderner Videospiele tatsächlich messen kann. Ein trockenes Trainingsprogramm ein bisschen zu gamifizieren reicht uns nicht. Und um ganz ehrlich zu sein: Am Anfang war es auch eine große Herausforderung, eine gemeinsame Sprache zwischen den verschiedenen Professionen sicherzustellen. Auf dieser gemeinsamen Sprache bauen wir jetzt aber auf, undfreuen uns, dass wir zunehmend Anfragen erhalten, auch anderen bei der Konzeption und Entwicklung von Projekten an der Schnittstelle von Gesundheit und Gamification zu helfen, auch wenn wir augenblicklich kaum die Zeit dafür haben.

GC: Kannst Du uns konkrete Beispiele oder Erlebnisse während des Pilottests schildern?

Manou: Es ist immer schön zu sehen wie die Bewohner der Seniorenheime, in denen wir testen, durch das Spielen miteinander in Kontakt kamen. Es entstand eine Art Bühnensituation in derder Spieler beklatscht wurde und man sich über das Spiel austauschte. Besonders beeindruckend war wohl ein älterer Herr mit Demenz in einem fortgeschrittenen Stadium, mit dem wir testweise Bowling spielten, und der dabei sowohl Leistungen zeigte, die man ihm kaum noch zugetraut hätte, und dabei auch wirklich viel Spaß hatte. Hinterher haben wir dann erfahren, dass dieser Herr in seiner Jugend das Kegeln als sein großes Hobby hatte.In Zukunft wollen wir solche Momente übrigens nicht mehr dem Zufall überlassen, sondern die Spielerfahrungen soweit personalisieren, dass wir für jeden Bewohner seine eigene Biographie, musikalischen Vorlieben und Hobbys verarbeiten können.

prototypentest_mit_senioren_im_lab

Senioren spielen mit einer frühen Version, und helfen dem Team Erfahrungen zu sammeln

GC: Inwiefern unterscheidet sich RetroBrain von anderen Hirntrainingsprogrammen?

Manou: In unserem Ansatz sind von Grund auf einige wesentliche Neuerungen angelegt, die eine deutlich bessere Wirksamkeit erwarten lassen. Wir befinden uns mit unserer Kritik an bestehenden Angeboten und unseren Konzepten zur Weiterentwicklung im Einklang mit der aktuellen neuropsychologischen Forschung: Noch im Oktober letzten Jahres formulierten auf Initiative von Laura Carstensen, Professorin der Psychologie an der Stanford University und Direktorin des Stanford Center on Longevity, und Ulman Lindenberger, Direktor des Forschungsbereichs Entwicklungspsychologie am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, führende Wissenschaftler ihre Kritik an bestehenden Angeboten und forderten notwendige Entwicklungen weg von einem reinen “Gehirnjogging” [Link: https://www.mpib-berlin.mpg.de/en/presse/2014/10/gehirnjogging-am-computer-haelt-nicht-was-es-verspricht].Wir leisten hier mehr!

GC: Sind therapeutische Videospiele Deiner Meinung nach die Zukunft?

Manou: Sie sind eine Zukunft, ja. Therapeutische Videospiele sind der logische nächste Schritt in der medizinischen Evolution, hin zum “Homo Ludens”. Die medizinische Situation therapeutisch zu verbessern und dabei Spaß zu haben ergibt nicht nur einfach Sinn, sondern ist dank der fortschreitende Digitalisierung und gleichzeitig der immer besseren Möglichleiten der Mensch-Computer und Mensch-Computer-Mensch-Interaktion die einzig realistisch skalierbare Möglichkeit, dem demographischen Wandel human zu begegnen. Aber das gilt auch für viele Projekte für Kinder, Schmerzpatienten und sogar Tiere, die wir in unserer Schublade haben. Vielleicht findet sich ja in wenigen Jahren die Zeit, sie umzusetzen. Genügend Menschen die profitieren würden gibt es leider.

GC:  Birgt eine solche Therapieform gerade in einem personell so unterbesetzten Bereich wie der Altenpflege nicht die Gefahr, dass Menschen vor dem Rechner / Spiel „abgestellt“ werden – oder wird das Spielen vom Pflegepersonal angeleitet und begleitet?

Manou: Das ist auf keinen Fall unser Ziel! Wir sehen therapeutische Videospiele als komplementäre Leistung und nicht als Ersatz für bereits existierende Ressourcen in der Versorgung. Das Spiel soll keinen Therapeuten oder Pfleger ersetzen, sondern diese entlasten. Videospiele sollen zusätzlich für die langen Zeiträume zur Verfügung stehen, in denen der Patient sich sonst alleine überlassen wäre. Oder um es anders auszudrücken: Wenn wir etwas ersetzen wollen, dann den Fernseher, dem nur passiv und bewegungslos zugeschaut werden kann.

Auch heute weisen wir nocheinmal daruf hin, dass RetroBrain Unterstützung sucht und stellen erneut die Frage:

GC: Aktuell sucht RetroBrain einen Unity 3D Game Developer  zur Unterstützung – welches sind die wichtigsten Fähigkeiten und Voraussetzungen, die der Kandidat mitbringen sollte?

Manou:Wir suchen ständig, weil unser Team wächst! Wer also Lust hat, mit seinem Skillset – besonders 3D-Spiele mit der Microsoft Kinect for Windows v2 umzusetzen – nicht nur Geld zu verdienen, sondern dabei auch etwas gesellschaftlich Ssinnvolles zu tun und dabei in einem kleinen, international vernetzten, Team zu arbeiten, der soll sich jederzeit bei uns melden.

Hört sich das nach dir an? Dann los:
Hier geht’s zur Stellenanzeige!

About the author

Anietta
Anietta
Eine besessene Gamerin war Anietta zwar nie - doch die fesselnde Intensität von Videospielen kann sie dennoch nachvollziehen... Ihre Games-Erfahrungen beschränken sich in etwa auf folgende: Leidenschaftliches "Boulder Dash"- und "Oh Mummy"-Spielen auf dem Schneider Computer ihres kleinen Bruders in ihrer Kindheit, leidenschaftliches "Brickles"-Spielen auf einem eher frühen Modell des Apple Macintosh ihres Onkels, leidenschaftliches "Tetris-Spielen" auf dem Gameboy ihres kleinen Bruders, leidenschaftliches "Point and Click Adventure"-Spielen auf eigenem PC und leidenschaftliches Scrabblen, Quizduellieren und Flightcontrollen auf dem eigenen iPhone. In ihrem Privatleben geht es bei Anietta momentan leider eher darum die Spielbesessenheit ihrer drei Jungs Nick (11), Cosmo (5) und Oskar (12) zu begrenzen, denn zumindest die Großen scheinen schon fast in den Welten von "Minecraft", "Clash of Clans" und "Hearthstone" zu leben - wenn man nur von den Esstischgesprächen ausgeht. Alle drei liiiiiiiiieben Games und finden es extrem cool, dass Anietta neben ihrer Tätigkeit bei Games-Career.com schon seit einigen Jahren als Teamassistentin und gute Seele in der PR-Agentur für die Games-Branche - Quinke Networks fungiert und somit nah am Geschehen ist.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*