Die Hälfte aller Spieler ist weiblich. Doch wie vielfältig ist die deutsche Games Industrie? – Ein Gastbeitrag von Sabine Hahn

04.05.2017

Sabine_Hahn

Als eine der wegweisenden Medienkongresse in Europa vereint die MEDIA CONVENTION Berlin in Kooperation mit der re:publica vom 8. bis 10. Mai 2017 wieder nationale und internationale Medienmacher, Digital Natives, etablierte Global Player, Gamer, Netz-Aktivistinnen, Wissenschaftler sowie Medien- und Netzpolitikerinnen, um über aktuelle Fragestellungen der Medien- und Netzpolitik, Markttrends und Entwicklungen der digitalen Mediengesellschaft zu diskutieren.

Auch Sabine Hahn, Dozentin an der Universität Köln und der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln, ist vor Ort und hält einen Vortrag über die  Rolle von Frauen in der Games-Branche. In ihrem Gastbeitrag gibt sie einen ersten Einblick, was Besucher bei ihrem Vortag erwartet.

Gefühlt rede ich schon sehr lange über das Thema „Frauen in der Games-Branche“. Nach über vier Jahren intensiver Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau in der Gameskultur kann ich mittlerweile auch zu jeder Tages- & Nachtzeit darüber reden, ohne Punkt und Komma. Dabei nehme ich mit viel Freude zur Kenntnis, dass dieses Thema auch nach dem großen medialen Hype rund um die #GamerGate Debatte nach wie vor auf Interesse stößt. Selbst ZDFinfo hat im Vorfeld der Media Convention nach einem Interview gefragt.

Kein Wunder, gelten digitale Spiele – auf diesen Begriff haben sich Medienwissenschaftler mittlerweile geeinigt, da „Computer- und Videospiele“ dem zeitgenössischen Status Quo nur inadäquat gerecht werden –  mittlerweile als gesellschaftlich relevantes Massenmedium.

In Deutschland, wo digitale Spiele seit 2008 offiziell als Kulturgut anerkannt werden, wurde in 2015 mit Games ca. 2,8 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet – mehr als mit der Fußball Bundesliga, der RTL Gruppe oder Speiseeis (vgl. Gameswirtschaft). Laut dem Branchenverband BIU spielen rund 34 Millionen Deutsche digitale Spiele, davon rund 29 Millionen regelmäßig. Das Durchschnittsalter der Nutzer digitaler Spiele beträgt dabei 34,5 Jahre – Tendenz steigend. Rund die Hälfte (47%) der Spieler ist weiblich – demnach spielten im Jahr 2015 in Deutschland rund 16 Millionen Frauen digitale Spiele (vgl. BIU).

Demgegenüber stehen rund 20% weibliche Beschäftigte innerhalb der Games Industrie, wobei es gegenwärtig keine offiziellen Zahlen für die deutsche Games-Branche gibt. An dieser Stelle muss auf Daten des Internationalen Entwicklerverbandes IGDA verwiesen werden, die als eine der wenigen Quellen in ihrem jährlichen „Developer Satisfaction Survey“ von rund 20% Frauen innerhalb der Spieleindustrie sprechen (vgl. IGDA).  

Die Hälfte der Spieler ist also weiblich. Nur rund 20% machen allerdings den Anteil aus, der die digitalen Spiele entwickelt, vertreibt, vermarktet etc. Dabei zeigt eine Untersuchung von Lizzie Haines aus dem Jahre 2004, dass davon rund drei Viertel in Bereichen tätig sind, die mit der Game Entwicklung nichts zu tun haben (Sales, Marketing, Personal, Finanzen usw.) und insofern das Produkt auch nicht beeinflussen.

Dies wirft einige Fragen auf: Etwa, ob die Branche für Mädchen und Frauen nicht attraktiv ist? Ob es Bedingungen in den Unternehmen gibt, die ein „mehr“ an Frauen verhindern? Ob ausreichend Ausbildungsangebote existieren oder ob Frauen schlicht und ergreifend kein Interesse an der Entwicklung und Vermarktung digitaler Spiele haben? (Ein Argument, dass ich seitdem ich mit diesem Thema als Speaker auf Konferenzen und Veranstaltungen bin, regelmäßig höre, schlicht und ergreifend aber nicht gelten lassen möchte.)

Für mich persönlich ist die wichtigste Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen Frauen als Konsumenten von digitalen Spielen, der Darstellung von Frauen innerhalb der Spiele bzw. dem Angebot an digitalen Spielen für Frauen, sowie dem Anteil an Frauen innerhalb der Spieleindustrie gibt. Diese Fragestellung hat mich in den letzten Jahren auch im Rahmen meiner Dissertation an der Universität Köln beschäftigt.

Mit diesen Fragen konfrontiert, wie vermutlich nächste Woche auf der Berliner Media Convention, muss ich immer wieder feststellen – die Antworten sind komplex und es gibt leider weder eine monokausale Erklärung a la „Frauen wollen alle nicht in der Spieleindustrie arbeiten“ oder einen Sündenbock im Sinne von „die Unternehmen sind frauenfeindlich“. Noch gibt es einen 5 Punkte Plan zur Erhöhung des Anteils weiblicher Beschäftigter. Dennoch: Antworten können gegeben werden oder zumindest Erklärungsansätze.

Dabei muss einerseits ein Blick in die Geschichte und Evolution des Mediums „Computer- und Videospiel“ sowie in die Spieleindustrie geworfen werden: Bereits in den 90er-Jahren gab es unter anderem nach dem Überraschungserfolg „Barbie Fashion Designer“ Games, Unternehmen die Spiele von Frauen für Frauen entwickelt haben, u.a. Purple Moon Interactive, die jedoch allesamt mittelfristig kommerziell nicht erfolgreich waren. Der wohl wichtigste Faktor ist jedoch, dass lange Zeit keine speziellen Ausbildungsgänge für die Spieleindustrie existierten und so in den Unternehmen vor allem leidenschaftliche Gamer saßen. Rekrutiert wurde ausschließlich über Vitamin B und Qualifikationen spielten keine Rolle. Zu dieser Zeit waren Frauen klar benachteiligt. 

Wenn also die Ursachen für die Unterrepräsentanz von Frauen in der Spieleindustrie nicht klar auf der Hand liegen, gibt es doch auch kein Problem, oder? Schließlich gibt es in der IT-Industrie oder in der Automobilwirtschaft auch sehr wenige Frauen (diesem Argument begegne ich tatsächlich auch oft bei Diskussionen). Doch meiner Meinung nach gibt es sehr wohl ein Problem: Die mangelnde Diversität. Die sich im Übrigen – und das soll an dieser Stelle auch einmal unterstrichen werden – nicht nur auf den Aspekt „Gender“, sondern auch auf Alter, kultureller Hintergrund und sexuelle Orientierung bezieht.

Die nordamerikanische Game Designerin Sheri Graner Ray, die schon seit über 25 Jahren im Geschäft ist und sich schon mindestens ebenso lange für mehr Frauen in der Gamesbranche einsetzt, sagte: „If we want to reach a diverse audience, our workforce has to reflect this diversity.“ Diversität ist gut für die Produkte. Eine Erkenntnis, die sich mittlerweile auch innerhalb der Spielebranche durchgesetzt hat. Vor einigen Jahren sagte der ehemalige Vorsitzende des Branchenverbandes BIU, Dr. Maximilian Schenk, dass er sich mehr Frauen für die deutsche Gamesbranche wünsche. Es gibt Anzeichen für einen positiven Trend, der jedoch gegenwärtig mangels repräsentativer Zahlen nicht mehr als eine subjektive Einschätzung bleiben kann.

Diversität ist aber auch gut für die Unternehmen selbst. Für die Beschäftigten, für die Team- und Unternehmenskultur. Belege dafür liefern zahlreiche Reports (wie z.B. die „Women Matter“ Reihe) großer Managemenberatungsfirmen wie McKinsey oder Catalyst bereits seit Jahren. Belege dafür habe ich auch während der Experteninterviews im Rahmen meiner Dissertation sammeln dürfen.

Da ich mich bereits seit einigen Jahren mit dem Thema Gender Diversität in der Spielebranche beschäftigte, kann ich an dieser Stelle feststellen, dass Frauen verstärkt im Fokus der Games Industrie sind, global wie national. Dass die Unternehmen sich wirklich bemühen, viele gute Initiativen gegründet und Maßnahmen etabliert haben, wenngleich die Entwicklung eher langsam von statten geht.

Deshalb wünsche ich mir – immer noch und unermüdlich – mehr Interesse an diesem Thema. Und vor allem: Mehr Frauen in der Games Industrie! Auf allen Ebenen und in allen Abteilungen. Denn ich bin davon überzeugt, dass Diversität und Inklusion für die Spieleindustrie mehr als ein moralischer Imperativ sein sollte. „Those who create the games should reflect the ones playing the games.“ (KateEdwards, Chefin des IGDA – International Game Developer Assosication).

Der gleichnamige Vortrag „Die Hälfte aller Spieler ist weiblich. Doch wie vielfältig ist die deutsche Spieleindustrie?“ kann am 9. Mai 2017 von 13.45 Uhr bis 14.45 im Media Cube auf der MEDIA CONVENTION Berlin besucht werden. Wer sich zusätzlich noch genauer ins Thema einlesen möchte, sollte einen Blick in Sabines Buch „Gender und Gaming. Frauen im Fokus der Games-Industrie“ werfen, das im Mai beim transcript Verlag erscheint.

About the author

Sabine Hahn
Sabine Hahn
Sabine Hahn hat zunächst in Leipzig Kulturwissenschaften, Soziologie und Journalistik studiert und war anschließend 10 Jahre in Sales & Marketing Positionen in verschiedenen Unternehmen der Games Industrie im In- und Ausland tätig; zuletzt bei Electronic Arts in Köln. Seit Ende 2013 promoviert sie an der Universität Köln am Institut für Medienkultur und Theater zum Thema „Gender in Games & Gaming“ und ist zusätzlich als externe Dozentin an unterschiedlichen Universitäten und Fachhochschulen tätig. Zudem ist Sabine als selbständige Trainerin Business Coach im Bereich Führungskräfte Entwicklung tätig. Mit ihrem Background aus Praxiserfahrung und akademischer Expertise beteiligt sich Sabine gern an Fachkonferenzen und Veranstaltungen der Games Branche, wie z.B. Quo Vadis, Respawn, Next Level, Deutscher Entwicklerpreis Summit oder Berlin Games Forum.

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