Heute präsentieren wir euch den zweiten Teil zum Thema „Games im Schulunterricht“. Im ersten Teil wurde unter anderem die Akzeptanz von Games im Bereich der Pädagogik beschrieben und wie es Minecraft in manche Klassenzimmer geschafft hat. Weiter geht es mit dem Thema Gamification, denn vielen dürfte dieser Begriff bekannt sein, doch was damit heutzutage alles in Verbindung gebracht werden kann, eher weniger. Unser Gastautor Birk Grüling gibt uns einen Einblick und führt auf, zu welchen Ergebnissen US-Forscher kommen, wenn man den klassischen Frontalunterricht mit Lernspielen ergänzt. Zum Ende gibt es einen kleinen Ausblick wie man Games mit Pädagogik sinnvoll umsetzen kann und welche Hürden man derzeit zu überwinden hat.
Viel Spaß beim Lesen und ein Dankeschön an Birk Grüling, für diesen Gastbeitrag.
Virtuelle Erfahrungspunkte statt Fleißsternchen
Auf den Spannungseffekt erfolgreicher Computerspiele setzt die sogenannte „Gamification“. Besondere Aufgaben und Bonussysteme sollen die Schüler zum Lernen motivieren. So funktioniert auch der derzeit wohl prominenteste Genre-Vertreter „Classcraft“, eine Art Fantasy-Rollenspiel für das Klassenzimmer. Als Krieger, Heiler und Priester bestreiten die Schüler den abenteuerlichen Schulalltag. Für richtige Antworten gibt es Erfahrungspunkte, noch mehr Punkte bringt ein gutes Referat. Vergessene Hausaufgaben kosten dagegen Lebensenergie, genau wie Zuspätkommen. Gegner wie Test-Trolle oder Klausurendrachen müssen die Schüler allein besiegen. Andere Missionen können sie dagegen nur in der Gruppe lösen. Der Lehrer steuert das Rollenspiel per Smartphone-App. Erdacht hat sich das System der US-Highschool-Lehrer Shawn Young. Als Ergänzung zu den normalen Noten konnten die Schüler in seinen Physik- und Chemiekursen ihr „Classcraft“-Level verbessern und damit Sonderrechte erwerben wie essen im Unterricht oder einen Tag länger Zeit für das Referat. Aus Youngs Sicht verspricht dieser ungewöhnliche Lernkontext Erfolg. „Ich habe das Spiel in vier Kursen getestet, mit über 100 Schülern. Es war stets ein Motivationsschub, besonders für die schwächeren Schüler. Auch der Zusammenhalt der Klassen hat sich verbessert“, erklärt er. Bestätigt durch diese positiven Erfahrungen hat er inzwischen den Lehrerjob an den Nagel gehängt und exportiert sein Spielsystem weltweit. Seit zwei Jahren gibt es auch eine deutsche Version. Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert auch „Professor S“. Dabei müssen Grundschüler dem etwas schusseligen Professor S und seiner Assistentin Jeanette aus der Patsche helfen. Die beiden sind in einem Zeitmaschinenexperiment gefangen. „Aus dieser fiktiven Spielwelt entstehen reale Probleme und Aufgaben, die die Schüler im Unterricht lösen müssen“, erklärt Entwickler Jan von Meppen. Die Rolle des Professors übernimmt wieder der Lehrer selbst. Er stellt die Aufgaben und schickt Textnachrichten an die Schüler. „So lässt sich das Spiel in jedem Unterrichtsfach nutzen. Wir geben nur einen Rahmen vor und der Lehrer kann selbst Arbeitsaufträge stellen“, sagt er. Als Orientierung hat das Entwickler-Team einen Grundstock von Aufgaben entwickelt. Bei Pädagogen kommt dieser Ansatz gut an. Inzwischen setzen über 50 Grundschulen das digitale Spiel ein. Seitdem Professor S bei der diesjährigen Verleihung des Deutschen Computerspielpreises in der Kategorie „Serious Games“ gewonnen hat, kommen immer mehr Anfragen von Lehrern und Einladungen zu Kongressen hinzu.
Interaktivität der Spiele sorgt für ein nachhaltiges Lernen
Dass sich ein überlegter Einsatz von Games im Unterricht lohnt, belegen inzwischen auch einige Studien. Zum Beispiel verglichen US-Forscher den Lernerfolg beim klassischen Frontalunterricht mit Unterrichtseinheiten, in denen ein Lernspiel eingesetzt wurde. Das Ergebnis: Den Stoff beherrschten beide Schülergruppen ähnlich gut. Die Kinder, die das Lernspiel benutzen, entwickelten allerdings mehr Freude beim Lernen und empfanden den Unterricht als angenehmer. Eine aktuelle Studie der University of Rochester im US-Bundesstaat New York legt nahe, dass moderates Spielen die Gehirnleistung fördern könnte: Gamer können sich laut der Wissenschaftler schneller auf neue Aufgaben einstellen. Die Forscher untersuchten dabei keineswegs Lernspiele, sondern kommerzielle Blockbuster-Titel. Die Autoren Martin Lorber und Thomas Schutz gehen noch einen Schritt weiter. In ihrem gerade erschienen Buch „Gaming für Studium und Beruf – Warum wir lernen, wenn wir spielen“ vertreten sie die These, dass Computerspiele auf das Berufsleben vorbereiten. Grund für die Annahme: Im Gegensatz zu Film und Fernsehen sind Computerspiele interaktiv und das Lernen damit deutlich „nachhaltiger“. Für den Erfolg in virtuellen Welten braucht es außerdem Disziplin, Ausdauer und Konzentration. Strategiespiele erfordern eine umsichtige Planung. Zudem müssen die Spieler mögliche Konsequenzen ihrer Spielzüge im Vorfeld abwägen. Die Kooperation mit vielen Mitspielern in Online-Rollenspielen trainiert zudem soziale Kompetenzen wie Teamfähigkeit und Kommunikation. Sportspiele wie die FIFA-Reihe setzen auf antizipiertes Denken und Handeln. Im Chat mit internationalen Mitspielern verbessern die Gamer ganz nebenbei ihre Sprachkenntnisse. Auch Strategien für die Lösungen komplexer Probleme und der konstruktive Umgang mit Fehlentscheidungen lassen sich spielerisch üben. All diese Eigenschaften sind auch im realen (Berufs-)Leben durchaus gefragt.
Voneinander lernen ohne Vorurteile
Damit solche Vorteile auch im Schulalltag genutzt werden können, bedarf es allerdings einiger Vorbereitung. „Der Einsatz von Games im Unterricht sollte immer einen Grund haben. Sie müssen gut eingebettet sein, sonst verpuffen die positiven Effekte schnell“, sagt Johannes Fromme, Professor für Medienpädagogik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Genau dafür brauche es Pädagogen, die sich der Lebenswelt der Schüler öffnen und bewusst Anknüpfungspunkte suchen. Vorurteile gegenüber dem Medium stellen jedoch längst nicht die einzige Hürde dar, wie eine Studie des European Schoolnet zeigt. So verwiesen die befragten Lehrer neben unpassenden Inhalten oder Bedenken wegen negativer Aspekte der Spiele-Nutzungen vor allem auf fehlende Fortbildungsangebote, Kosten und Lizenzfragen sowie mangelnde technische Ausstattung in der Schule. Außerdem dauern die klassischen Unterrichtsstunden mit 45 Minuten nicht lange genug, um Video-Spiele effektiv nutzen zu können. „Bei der Bewältigung solcher Hürden brauchen interessierte Lehrer mehr Anleitung und Unterstützung“, fordert Fromme. Passende Fortbildungsangebote und Kooperationen mit Medienpädagogen könnten eine solide Basis für den Unterricht schaffen, indem Lehrkräfte sich intensiv mit der Materie auseinandersetzen und Vorurteile abbauen. Dabei sollte es nicht nur um Inhalte, Technik und Didaktik gehen. Die Lehrer müssen auch ihr Rollenverständnis reflektieren. In Sachen Gaming besitzen die meisten Schüler schließlich einen großen Wissensvorsprung. Genau dieser Expertenstatus lässt sich nutzen, indem Schüler und Lehrer auf Augenhöhe voneinander lernen und über das Gaming nachdenken – einmal ganz ohne Vorurteile.