In unserer Rubrik „Köpfe der Spielebranche“ porträtieren wir regelmäßig wichtige Persönlichkeiten der Branche. Hierbei geht es uns darum, einen Eindruck von der Vielfalt des Wirtschaftszweiges und Karriere-Perspektiven zu vermitteln. Heute sprechen wir mit Autorin und Game Writer Anne von Vaszary. Seit über 10 Jahren sind auch Games ihr Metier, und sie hat an vielen namhaften Titeln, wie zum Beispiel „Black Mirror„, „Silence“ oder „Reperfection“ mitgewirkt. Im Interview erfahren wir, welche Besonderheiten ein Autor beim Storytelling in Games beachten, beziehungsweise welche Hürden er nehmen muss. Außerdem werden uns die Unterschiede der Genres Film, Game und Roman in Bezug auf Arbeitsweise und Dramaturgie veranschaulicht.
Games-Career.com: Du hast Filmdramaturgie an der Filmuniversität Babelsberg studiert. Wie kommt es, dass heute Storyentwicklung für Computerspiele einen großen Teil Deiner Arbeit ausmacht?
Anne von Vaszary: Das Studium hat vier Jahre gedauert und fing bei Aristoteles an. Ich kenne sonst keinen Studiengang, der sich so konzentriert mit dem Geschichtenerzählen auseinandersetzt. Das war für mich eine ideale Grundlage für mein Leben in Parallelwelten. Sich aller Erzähltechniken, aller visuellen und auditiven Aspekte und Wirkungsmechanismen bewusst zu sein, hilft auch beim Entwickeln von Geschichten für andere Medien und Formate. Storyentwicklung für Computerspiele ist dabei ein ganz spezieller Fall, denn es stellt manche der dramaturgischen Grundregeln bzw. Annahmen auf den Kopf und verlangt nach neuen Denkansätzen. Es ist ein Experimentierfeld – das ist das Spannende daran.
Games-Career.com: Seit über 10 Jahren arbeitest du an neuen Games. In dieser Zeit hast Du an namhaften Titeln mitgewirkt, vorwiegend Adventures. Was macht für Dich den Reiz dieses Genres aus?
Anne von Vaszary: Die Art wie Adventures erzählt werden, ist nah am Filmischen dran. Manchmal zu nah, manchmal nicht nah genug. Zum Beispiel was die Dialoge betrifft: die sind im Filmischen ja mehr dazu da Figuren zu charakterisieren, weniger zum Informationsaustausch. Ganz nach dem Motto: Show, dont tell. Was die Leute tun, wie sie handeln, was das Szenenbild verrät, das Licht, die Farben, der Kameraausschnitt, die Musik, die Montage ist wichtiger als die Dialoge.
Generell wird der Reiz für mich umso größer, je mehr es gelingt das Wesen des Spielerischen, Interaktiven zu erfassen und in die Geschichten einzubinden. Aber wie gesagt – das ist noch ein weites Experimentierfeld.
Games-Career.com: Dein Lebenslauf verrät, Du hast einen kleinen Umweg gemacht, bevor Du zum Schreiben gekommen bist. Wann und wodurch wurde Dir klar, dass Worte Deine Leidenschaft sind?
Anne von Vaszary: Meinst Du die Ausbildung zur Sportlehrerin? Während meiner Kindheit in der DDR war ich Wettkampfturnerin, von meinem fünften Lebensjahr an bis zur Wende, da war ich fünfzehn. Viermal wöchentlich Training und am Wochenende Wettkampf. Ich hatte gelernt meinen Körper zu kontrollieren und auf den Punkt genau zu Höchstleistungen zu zwingen. Wenn damit plötzlich Schluss ist, dann fragt man sich – wohin mit diesen Skills? Also habe ich eine Ausbildung zur Sportlehrerin gemacht und noch jahrelang als Trainerin und Kampfrichterin gearbeitet. Das war der Versuch meinen Körper vor der Vereinnahmung des Geistes zu bewahren. Den Kampf habe ich eindeutig verloren. Immerhin ist mir die Fähigkeit geblieben, mich zu konzentrieren und solange dranzubleiben, bis die Dinge gut sind. Mein zweiter Roman ist vor Kurzem fertig geworden, Hurra! Ein Krimi, 400 Seiten. Es war ein hartes Stück Arbeit dieses Baby zur Welt zu bringen, parallel zu anderen Schreibjobs. In den letzten Jahren habe ich nur geschrieben, sitzend, mit gekrümmtem Rücken. Keine Flickflacks mehr und auch Saltos nur noch im Kopf.
Games-Career.com: Worum geht es denn in Deinem Krimi?
Anne von Vaszary: Um eine junge Frau, die aufgrund besonderer Umstände einen so guten Geruchssinn entwickelt hat, dass sie einem Mörder auf die Spur kommt.
Games-Career.com: Neben der Storyentwicklung von Games und dem Schreiben von Krimis, wirkst Du an Serienkonzepten für TV und Internet mit – worin liegen für Dich die größten Unterschiede?
Anne von Vaszary: Der größte Unterschied liegt in den Realisierungshürden, die Autoren in der Fernsehwelt zu nehmen haben. Zu viele Leute, die reinreden. Aus Angst vor miesen Quoten, vor Genremix oder vor Vermischung von sogenannter „Hoch-und Unterhaltungskultur“. Die reinsten Cockblocker und Kreativitätshemmer.
Bei der Entwicklung von Games reden wesentlich weniger Leute rein. Nach meiner Erfahrung sind die Gamesentwicklerteams viel mehr zur Zusammenarbeit bereit und lassen sich auf die Ideen von Autoren ein. Das mag daran liegen, dass in der Branche vergleichsweise weniger professionelle Autoren unterwegs sind und die Berufsfelder sich viel mehr vermischen, aber auch daran, dass alle Beteiligten eines Projekts sich durch den Wunsch verbunden fühlen, etwas Neues zu erschaffen und zwar ohne sich auf Erfahrungswerte berufen zu können – ein Sprung ins Ungewisse, der Potential freisetzt.
Bei einem Roman redet einem niemand rein, den kann man so schreiben, wie man ihn fühlt. Ob er dann so veröffentlicht wird, ist eine andere Frage. Aber zum Glück gibt es immer mehr Möglichkeiten für Selfpublishing.
Games-Career.com: Und dramaturgisch gesehen, worin liegen da die Unterschiede zwischen Spiel und Film?
Anne von Vaszary: Die Interaktionsmöglichkeit wirkt oft retardierend und verlangsamt den Erzählfluss. Wenn der Spieler sich erstmal in der Szene umschauen will, anstatt den Mörder zu verfolgen, verpufft die vorher aufgebaute Spannung gerne mal. Hinzu kommt, dass Suspense-Situationen aus der Ich-Perspektive, in der man sich als Spieler mit seiner Spielfigur ja befindet, nicht möglich sind. Jedenfalls nicht im klassischen Hitchcock-Sinn. Im Film ist der Zuschauer nur der Beobachter der Szene, er weiß mehr als die handelnden Figuren, die gemütlich am Kaffeetisch sitzen und plaudern, während unter ihrem Tisch die Bombe tickt. Aus diesem Vorwissen erwächst die Spannung. Im Spiel weiß man genauso viel wie die Spielfigur, die man steuert. Der Trick mit dem Vorwissen (Suspense) fällt dadurch weg. Gemeinsamkeiten gibt es trotzdem, egal in welchem Format: Die Story muss in allen Fällen glaubhaft sein, das Handeln der Figuren nachvollziehbar.
Im Grunde geht es allen Autoren ähnlich, ganz unabhängig davon, woran sie schreiben. Sie versuchen etwas in Worte zu fassen, das noch ungesagt und unbeschrieben ist. Die Gefahr sich zu verzetteln, ist groß. Dramaturgische Kenntnisse sind dabei mehr als nur ein Bauplan, eher so eine Art Leuchtturm.
Games-Career.com: Spielst Du auch privat Computerspiele? Und wenn ja, fühlst Du Dich dadurch eher entspannt, oder inspiriert, oder angestrengt (da ein professionell kritischer Blick schwer abzuschalten ist)?
Anne von Vaszary: Natürlich spiele ich viel (Choices), schaue Serien (Bates Motel) und höre Podcasts (Fest und Flauschig). Ich prokrastiniere den lieben langen Tag! Immer mit der Ausrede mich weiterzubilden und inspirieren zu lassen, auch wenn ich weiß, dass es für die eigene Kreativität besser wäre Langeweile zuzulassen. Es lebe die Deadline!
Games-Career.com: Welches Game ist zurzeit Dein Favorit?
Anne von Vaszary: Ich finde es toll wie es Matt Kempke und Kevin Mentz von Daedalic gelungen ist „Die Säulen der Erde“ von Ken Follett zu adaptieren. Und ich mag „Old Mans Journey“, nicht nur wegen der wunderbaren Spielmechanik, sondern vor allem auch weil die Geschichte so erzählt wurde, dass Dialoge überflüssig sind.
Games-Career.com: Was ist Deines Erachtens der beste Ausbildungsweg, um ein guter Game Writer zu werden?
Anne von Vaszary: Kommt auf die Art der Spiele an, die man machen will. Aber ich denke am wichtigsten ist es zu verstehen wie Geschichten funktionieren. Die Steuerung der Emotionen des Spielers, die Mechanik des Erzählens, die Wirkungsmacht der Worte und Bilder und Geräusche. Was immer einem das Verständnis für Dramaturgie näher bringt, ist ein geeigneter Ausbildungsweg.
Games-Career.com: Last words?
Anne von Vaszary: Ich wünsche Euch und all Euren Lesern und Leserinnen ein frohes neues Jahr voller inspirierender Geschichten!
Da sagen wir: „Dito!“, denn das wünschen wir Dir auch! Herzlichen Dank, liebe Anne, für diesen interessanten Einblick in Deine Arbeitswelt, insbesondere die vielen Details zum Gamewriting. Viel Erfolg auch für Deinen Roman und alle weiteren, die da kommen mögen. Wir sind sehr gespannt, und freuen uns wieder von Dir zu hören!