Köpfe der Spielebranche: Interview mit Marie Amigues von Altagram

10.01.2019
Marie Amigues, Gründerin der Altagram GmbH in Berlin

Marie Amigues, Gründerin der Altagram GmbH in Berlin

Marie Amigues ist Gründerin der Altagram GmbH in Berlin, und Spezialistin für Video Game Localization und Audio Production. Bereits mit 30 Jahren gründete die Französin ihr erstes Lokalisierungsunternehmen in der Hauptstadt und ist seitdem nicht mehr zu stoppen. Die 42-jährige ist eine absolute Powerfrau: Nicht nur managt sie riesige Expertenteams an den drei Unternehmensstandorten in Berlin, Seoul und Montreal – sondern ist außerdem viel unterwegs um Vorträge auf Konferenzen zu halten und an Panels teilzunehmen. All das bringt sie zudem mit ihrer Rolle als alleinerziehende Mutter eines Sohnes im Grunschulalter unter einen Hut. Kein Wunder, dass das Magazin GamesWirtschaft sie zu den Top 50 Frauen der Games-Branche zählt! In unserem „Köpfe der Spielebranche“- Interview erklärt uns Marie unter anderem, was Lokalisierung eigentlich genau bedeutet, wie sie dazu kam und wie ein typischer Arbeitstag bei ihr abläuft…

Games-Career: Als Gründerin von Altagram bist du für ein riesiges Expertenteam aus Übersetzer*innen, Linguist*innen, Tontechniker*innen, Synchronsprecher*innen, QA-Tester*innen und vielen anderen verantwortlich. Wie sieht ein typischer Arbeitstag für dich aus?

Marie Amigues: Unser Team ist mittlerweile auf 60 Vollzeitangestellte angewachsen. Außerdem arbeiten wir mit über 600 Freelancern und 44 Tonstudios auf der ganzen Welt zusammen und haben einen Pool von 1.000 Sprecher*innen in Berlin sowie 100 QA-Tester*innen für unseren Standort in Montreal. Am liebsten würde ich mit jedem aus dem Team in Kontakt stehen. Das ist jedoch zeitlich nicht möglich. Ich bin alleinerziehende Mutter eines großartigen Jungen, der vor kurzem eingeschult wurde. Seit einem Jahr stehe ich daher für meine Verhältnisse sehr früh auf, um meinen Sohn zur Schule zu bringen. Das war anfangs sehr ungewohnt, aber inzwischen weiß ich die Zeit zu nutzen. Zum Beispiel kann ich so morgens Sport machen und mich um private Angelegenheiten kümmern. Abends fehlte mir vorher oft die Zeit und Energie dafür. Wenn ich morgens ins Büro komme, erwartet mich ein Tag voller Meetings mit unserem Management-Team und den Standort-Managern in Montreal und Seoul. Aufgrund der Zeitverschiebung zu beiden Standorten sieht mein Alltag daher wie folgt aus: Am frühen Morgen habe ich Telefonkonferenzen mit dem Team in Seoul. Tagsüber habe ich meistens bis 16 Uhr Meetings mit dem Team in Berlin und am späten Nachmittag bespreche ich mich dann mit dem Team in Montreal. Dabei geht es um ganz unterschiedliche Themen wie Finanzen, Vertrieb, Marketing, Projekte und vieles mehr. Die meisten der Meetings sind Einzelgespräche, aber nicht alle. Außerdem bin fast jeden Monat unterwegs. Bei Gaming-Konferenzen halte ich Vorträge über Videospiel-Lokalisierung oder nehme an Panels mit Developern und Publishern der Branche teil. Das ist eine gute Gelegenheit, um mich mit Kollegen und Freunden aus aller Welt zu treffen und den Bekanntheitsgrad von Altagram weiter zu steigern. Außerdem organisiere ich meinen Alltag dann so, dass das ganze Team auch während meiner Abwesenheit problemlos arbeiten kann. Wichtig ist, dass alle Teammitglieder ihre Aufgaben kennen und Eigenverantwortung beweisen. Noch wichtiger ist jedoch, dass niemand mit seiner Arbeit allein ist. Das Team arbeitet eng zusammen und gibt sich gegenseitig vollste Unterstützung. Zudem habe ich größtes Vertrauen in mein Management-Team, bestehend aus den Standort-Managern in Seoul und Montreal, dem COO in Berlin, Business Development, Marketing, Finanzen und HR. Ohne ihre herausragenden Führungsqualitäten wäre das Unternehmen niemals dort, wo es heute ist!

Games-Career: Du hast in Paris an der Sorbonne Philosophie studiert und zusätzlich an der ESSEC Business School einen MBA in Marketing Management gemacht. Wie bist du zur Videospiel-Lokalisierung gekommen?

Marie Amigues: Ich wollte schon immer in der Gaming-Branche arbeiten und in Berlin leben. Durch Zufall habe ich jemanden in Paris kennengelernt, der eine Firma in Frankreich hatte und ein Lokalisierungsunternehmen in Deutschland gründen wollte. Ich habe diese Möglichkeit ergriffen und mit 30 Jahren mein erstes Unternehmen in Berlin aufgebaut. Damals habe ich kein einziges Wort Deutsch gesprochen. Es war eine große Herausforderung, aber auch eine unglaubliche Erfahrung. Jahre später habe ich dann Altagram gegründet. Als alleinige Inhaberin kann ich so die Erfolge und Gewinne mit den Angestellten teilen anstatt mit anderen Shareholdern.

Games-Career: Lokalisierung bedeutet neben Übersetzung und Neuvertonung auch die Anpassung der Spiele an die kulturellen Gepflogenheiten eines Landes. Was kann man sich darunter vorstellen? Kannst du uns ein Beispiel nennen?

Marie Amigues: Ja, wir nennen das Kulturalisierung. Dies ist ein Prozess, welcher das Spiel auf vielen verschiedenen Ebenen beeinflusst. Dazu zählen beispielsweise visuelle Anpassungen, sprachliche Wendungen, Handlungsstränge oder Themen, die in bestimmten Kulturen tabu sind. Ein übliches Beispiel hierfür ist das Hakenkreuz, dessen Verwendung in deutschen Videospielversionen bis vor Kurzem komplett verboten war. Über die Jahre mussten wir Entwicklern oft erklären, dass für die deutsche Fassung diese Zeichen aus dem Spiel entfernt werden müssen. Manchmal war das natürlich problematisch, wenn das Spiel beispielsweise vom Zweiten Weltkrieg handelte. Ein anderes Beispiel sind Spiele, die für den arabischen Markt lokalisiert werden. Dabei geht es nicht nur darum, dass Arabisch von rechts nach links gelesen wird – was bedeutet, dass man auch die Benutzeroberfläche an die Leserichtung anpassen muss – sondern auch um Spielinhalte und -mechaniken, die abgeändert werden müssen. Verweise auf Gott, Alkohol, Nacktheit oder Glücksspiel sind im arabischen Sprachraum verboten. Bei einigen Spielen kann das eine ziemliche Herausforderung darstellen. Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass der Kulturalisierungsprozess wichtig ist, um sicherzustellen, dass verbotene oder sensible Inhalte für gewisse Märkte entfernt oder abgeändert werden. Der Erfolg des Spiels hängt von diesen Faktoren ab, da sonst das Risiko besteht, dass der Titel von der zuständigen Regulierungsbehörde indiziert wird.

Games-Career: Nach Stationen wie Paris, Ottawa und New York bist du in Berlin gelandet. Was hat den Ausschlag dafür gegeben?

Marie Amigues: Ich liebe einfach Berlin und bin auch immer noch von der Stadt und ihrem Spirit begeistert.

Games-Career: Worin unterscheiden sich die französische und die deutsche Gaming-Branche?

Marie Amigues: Das kann ich nicht so genau sagen, da ich hauptsächlich in der deutschen Branche tätig bin. In Frankreich habe ich nie in der Gaming-Branche gearbeitet.

Games-Career: Fähige Mitarbeiter*innen zu finden, ist überall eine große Herausforderung, doch in der Gaming-Branche ganz besonders. Welche Eigenschaften sind dir an Bewerber*innen besonders wichtig und welche Voraussetzungen müssen Übersetzer*innen erfüllen, um bei Altagram eingestellt zu werden?

Marie Amigues: Wir haben natürlich einen sehr hohen Qualitätsanspruch an unsere Arbeit. Daher arbeiten wir ausschließlich mit Übersetzer*innen auf muttersprachlichem Niveau zusammen. Darüber hinaus muss die Person gut in das Team passen, verlässlich sowie kreativ sein und präzise und sorgfältige Arbeit leisten. Wenn sie oder er auch noch leidenschaftliche*r Gamer*in ist, steht der Arbeit bei Altagram nichts im Wege.

Games-Career: Was fasziniert dich persönlich an Videospielen? Ist Gaming ein Hobby von dir? Und wenn ja, welches Spiel ist zurzeit dein Favorit?

Marie Amigues: Mich fasziniert, wie viel Leidenschaft man in dieser Branche findet. Auch wenn finanzieller Erfolg eine Rolle spielt, widmen sich die Menschen, denen ich bisher begegnet bin, vor allem mit viel Herzblut der Branche, ihren Games und den Spielern. Ich bin auch in mancher Hinsicht ein Nerd: Ich liebe alles, was mit Technologie, kreativer Wertschöpfung und anderen Kulturen zu tun hat. Die Videospiel-Lokalisierung ist also die perfekte Branche für mich!

Games-Career: Marie, wir danken Dir für das ausführliche Gespräch und wünschen Dir und DeinemTeam weiterhin viel Erfolg in diesem spannenden Tätigkeitsfeld! Wir sind gespannt, wo die nächsten drei Altagram-Standorte eröffnet werden 😉  

 

 

About the author

Anietta
Anietta
Eine besessene Gamerin war Anietta zwar nie - doch die fesselnde Intensität von Videospielen kann sie dennoch nachvollziehen... Ihre Games-Erfahrungen beschränken sich in etwa auf folgende: Leidenschaftliches "Boulder Dash"- und "Oh Mummy"-Spielen auf dem Schneider Computer ihres kleinen Bruders in ihrer Kindheit, leidenschaftliches "Brickles"-Spielen auf einem eher frühen Modell des Apple Macintosh ihres Onkels, leidenschaftliches "Tetris-Spielen" auf dem Gameboy ihres kleinen Bruders, leidenschaftliches "Point and Click Adventure"-Spielen auf eigenem PC und leidenschaftliches Scrabblen, Quizduellieren und Flightcontrollen auf dem eigenen iPhone. In ihrem Privatleben geht es bei Anietta momentan leider eher darum die Spielbesessenheit ihrer drei Jungs Nick (11), Cosmo (5) und Oskar (12) zu begrenzen, denn zumindest die Großen scheinen schon fast in den Welten von "Minecraft", "Clash of Clans" und "Hearthstone" zu leben - wenn man nur von den Esstischgesprächen ausgeht. Alle drei liiiiiiiiieben Games und finden es extrem cool, dass Anietta neben ihrer Tätigkeit bei Games-Career.com schon seit einigen Jahren als Teamassistentin und gute Seele in der PR-Agentur für die Games-Branche - Quinke Networks fungiert und somit nah am Geschehen ist.

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